Dr. Kilian von Steiner
Kilian von Steiner war ein jüdischer Sohn der Stadt Laupheim, der sich nicht nur um seine Heimatstadt verdient machte. Er hat darüber hinaus die Wirtschaft, die Politik und das kulturelle Leben im alten Königreich Württemberg so grundlegend und weitsichtig mitgestaltet, dass die Nachwirkungen seines Schaffens unser Land bis heute prägen.
Am 9. Oktober 1833 wurde er als achtes von 12 Kindern des wohlhabenden jüdischen Handelskaufmanns Viktor Steiner und dessen Frau Sophie, geb. Reichenbach aus Hohenems/Vorarlberg geboren. In Laupheim verlebte Kilian Steiner seine Kindheit. Das Gymnasium besuchte er in Ulm, danach in Stuttgart. An den Universitäten Tübingen und Heidelberg studierte er Rechts- und Staatswissenschaften, daneben Geschichte, Philosophie und Literatur. Er schloss sein Studium mit dem Doktor juris utriusque (Doktor beider Rechte) ab.
Als Rechtsanwalt in Heilbronn und Stuttgart wandte er sich früh der Politik zu. Bereits ein Jahrzehnt vor der Reichsgründung 1871 war er ein geistvoller und erfolgreicher Vorkämpfer einer liberalen Wirtschaftsordnung. Er trat deshalb für den Anschluss Württembergs an den Zollverein unter Preußens Führung ein. Zusammen mit politischen Freunden gründete er 1866 in Stuttgart die Deutsche Partei – die spätere Nationalliberale Partei auf Reichsebene – und nahm damit tatkräftige Stellung zugunsten Preußens. Der Abbau schutzzöllnerischer Schranken sollte den Handel auch mit dem Ausland fördern und gleichzeitig die Einheit der deutschen Lande voranbringen, was in der Teilnahme Württembergs an der bismarckschen Reichsgründung auch durchgesetzt wurde. Steiner zeigte sich damit als ökonomischer und politischer Realist, zumal er als Oberschwabe, der dazu noch über seine Mutter mit Vorarlberg verbunden war, zuerst an eine großdeutsche Lösung mit Österreich gedacht hatte.
Eine noch bedeutendere, für die Epoche der industriellen Gründerjahre geradezu entscheidende Rolle spielte Kilian Steiner als Inspirator und Motor des württembergischen Finanz- und Wirtschaftswesens. Nach H.J. Abs war er das Finanzgenie seiner Zeit. Er erkannte dass der wachsende Kapitalbedarf der expandierenden Industrie nur durch leistungsfähigere Banken gedeckt werden könne. So wurde er 1868 Mitbegründer, später Aufsichtsrat, schließlich Vorstand der Württembergischen Vereinsbank, die als Aktiengesellschaft ein Kreditverein einheimischer Handels- und Industriefirmen war und die Industriealisierung Württembergs nach der Reichsgründung finanzierte. In dieser Eigenschaft beriet er eine Reihe von Firmen bei der Gründung, Konsolidierung bzw. der von ihm favorisierten Umwandlung in Aktiengesellschaften, die noch heute zur deutschen Großindustrie gehören. Stellvertretend seien genannt die BASF, Daimler-Benz, WMF, Löwenbräu München und als kleiner Betrieb die Laupheimer Werkzeugfabrik. Die solide Finanzierung wichtiger Industriebetriebe, die bis heute in der Spitzenstellung der Industrie unseres Landes nachwirkt, wurde noch abgestützt durch die von ihmbetriebene Gründung einer Württembergischen Notenbank, die das Währungswesen des Landes vereinheitlichte und ordnete.
Steiners hohe Verdienste um Staat und Gemeinwohl wurden zunächst durch die Verleihung des Titels eines Geheimen Kommerzienrats gewürdigt. Im Jahre 1895 erhielt er die sehr seltene Auszeichnung mit dem Ehrenkreuz der Württembergischen Krone, verbunden mit dem persönlichen Adelsprädikat.
Dabei war Kilian von Steiner keineswegs ein dem ökonomischen Egoismus des Laissez-faire verpflichteter Finanzfachmann. Sein Denken und Handeln wurzelte im Humanismus der deutschen Klassik. Ihm, der sich selbst nie in den Vordergrund stellte, war ein selten strenges Pflichtgefühl eigen, das verbunden war mit einem maßvollen Selbstbewusstsein und einem lauteren Gemeinsinn. Sein lebenslanger Freund, der große Nationalökonom Professor Dr. Gustav von Schmoller, sagte über ihn: „Der bloße Gelderwerb, der habsüchtige Egoismus der Geldmacher erschien ihm stets verächtlich. Er fürchtete, dass unsere Zeit an dem Laster der Habsucht der oberen Klassen scheitern könne und vertrat demgegenüber die Auffassung, dass die Leitung der großen Kombination von Geschäften nicht nur die Eigenschaften des geriebenen Geschäftsmannes, sondern mehr noch die des Staatsmannes erfordere, und dass diese Leitung nicht nur auf den Gewinn der Aktionäre, sondern ebenso auf das Gesamtwohl gerichtet sein müsse“.
So sah Kilian von Steiner es geradezu als seine wichtigste Lebensaufgabe und Pflicht an, wirtschaftliche Führungskräfte großer Unternehmen zum Dienst auch an der Gemeinschaft zu erziehen. Er erkannte ferner, dass die neuen Großbetriebe auf Dauer nur mit einem „geistig, technisch, politisch und moralisch sich heben den Arbeiterstand“ gedeihen können. Daher begrüßte er die Gewerkschaften als die Organisation der Arbeiter und setzte sich nachdrücklich für die Förderung der Arbeiterbildung ein. So unterstützte er zum Beispiel auch in seiner Heimatstadt Laupheim die um 1897 neu eingerichtete Frauenarbeitsschule mit dem ansehnlichen Betrag von 500 M (Goldmark) und der Zusage einer weiteren jährlichen Zahlung.
Große Verdienste erwarb sich Kilian von Steiner in seinem letzten Lebensjahrzehnt als Förderer der Literatur. Er war zunächst Finanzberater des bekannten Stuttgarter Verlegers Alfred Kröner und beriet dessen Cotta-Verlags GmbH – den wichtigsten literarischen und wissenschaftlichen Verlag des vorigen Jahrhunderts – später auch bei literarischen und personellen Entscheidungen. Tatkräftig unterstützte er die Gründung des Schwäbischen Schillervereins, der sich die Eröffnung des Museums der Schwäbischen Literatur in Marbach zum Ziele setzte. Als großzügiger Mäzen und stellvertretender Vorsitzender des Vereins spendete er Geld zum Museumsbau und Ankauf wertvoller Manuskripte. Er setzte sich mit Rat und Tat für das Erbe schwäbischer Dichter, aber auch für die zu seiner Zeit lebenden Literaten ein. Die Krönung seines Werkes, die Eröffnung des Museums der Schwäbischen Literatur in Marbach, des heutigen Schillernationalmuseums, konnte Kilian von Steiner nicht mehr erleben, da er wenige Wochen vor der Einweihung verstarb.
In seiner Heimatstadt Laupheim übernahm Kilian von Steiner das väterliche Schloss Großlaupheim, zog im Alter hierher und schuf durch den Zukauf von großen Anbauflächen und den Bau weitläufiger Stallungen und Scheuern ein Mustergut. Das Schlossgut Laupheim, das er mit und für seinen Sohn Wohlgemut (Mut) zu einem landwirtschaftlichen Großbetrieb ausbaute, wirkte mit seiner Käse- und Butterproduktion und seiner Saatzucht weiterhin als Vorbild eines gewinnbringenden, modernen landwirtschaftlichen Betriebs. Zudem legte er – auch mit eigener Hand zugreifend – den Schlosspark an, der auch heute noch eine Sehenswürdigkeit der Stadt Laupheim ist. Er erwies sich bei vielen anderen Gelegenheiten als ein Wohltäter seiner Heimatstadt und insbesondere der armen Mitbürger.
In der Öffentlichkeit, vor allem in der großen Geschäftswelt, war Kilian von Steiner nicht nur wegen seines erfolgreichen Handelns angesehen, sondern mehr noch wegen der sicheren Vorausschau betriebs- und volkswirtschaftlicher Entwicklungen, die seine Erfolge erst möglich machten. Gustav Schmoller hat seinen bescheiden gebliebenen Freund nach dessen Tod am 11. November 1903 schlicht und schön gezeichnet: „Man hat ihn ein Geschäftsgenie genannt; ich möchte sagen, er hatte große, geniale Züge, aber sie waren in erster Linie solche der Willensenergie, der Verstandesschärfe, der Herzensgüte und der Gemütswärme.“
Hans-Georg Edelmann
Dr. Kilian von Steiner
Kilian von Steiner war ein jüdischer Sohn der Stadt Laupheim, der sich nicht nur um seine Heimatstadt verdient machte. Er hat darüber hinaus die Wirtschaft, die Politik und das kulturelle Leben im alten Königreich Württemberg so grundlegend und weitsichtig mitgestaltet, dass die Nachwirkungen seines Schaffens unser Land bis heute prägen.
Am 9. Oktober 1833 wurde er als achtes von 12 Kindern des wohlhabenden jüdischen Handelskaufmanns Viktor Steiner und dessen Frau Sophie, geb. Reichenbach aus Hohenems/Vorarlberg geboren. In Laupheim verlebte Kilian Steiner seine Kindheit. Das Gymnasium besuchte er in Ulm, danach in Stuttgart. An den Universitäten Tübingen und Heidelberg studierte er Rechts- und Staatswissenschaften, daneben Geschichte, Philosophie und Literatur. Er schloss sein Studium mit dem Doktor juris utriusque (Doktor beider Rechte) ab.
Als Rechtsanwalt in Heilbronn und Stuttgart wandte er sich früh der Politik zu. Bereits ein Jahrzehnt vor der Reichsgründung 1871 war er ein geistvoller und erfolgreicher Vorkämpfer einer liberalen Wirtschaftsordnung. Er trat deshalb für den Anschluss Württembergs an den Zollverein unter Preußens Führung ein. Zusammen mit politischen Freunden gründete er 1866 in Stuttgart die Deutsche Partei – die spätere Nationalliberale Partei auf Reichsebene – und nahm damit tatkräftige Stellung zugunsten Preußens. Der Abbau schutzzöllnerischer Schranken sollte den Handel auch mit dem Ausland fördern und gleichzeitig die Einheit der deutschen Lande voranbringen, was in der Teilnahme Württembergs an der bismarckschen Reichsgründung auch durchgesetzt wurde. Steiner zeigte sich damit als ökonomischer und politischer Realist, zumal er als Oberschwabe, der dazu noch über seine Mutter mit Vorarlberg verbunden war, zuerst an eine großdeutsche Lösung mit Österreich gedacht hatte.
Eine noch bedeutendere, für die Epoche der industriellen Gründerjahre geradezu entscheidende Rolle spielte Kilian Steiner als Inspirator und Motor des württembergischen Finanz- und Wirtschaftswesens. Nach H.J. Abs war er das Finanzgenie seiner Zeit. Er erkannte dass der wachsende Kapitalbedarf der expandierenden Industrie nur durch leistungsfähigere Banken gedeckt werden könne. So wurde er 1868 Mitbegründer, später Aufsichtsrat, schließlich Vorstand der Württembergischen Vereinsbank, die als Aktiengesellschaft ein Kreditverein einheimischer Handels- und Industriefirmen war und die Industriealisierung Württembergs nach der Reichsgründung finanzierte. In dieser Eigenschaft beriet er eine Reihe von Firmen bei der Gründung, Konsolidierung bzw. der von ihm favorisierten Umwandlung in Aktiengesellschaften, die noch heute zur deutschen Großindustrie gehören. Stellvertretend seien genannt die BASF, Daimler-Benz, WMF, Löwenbräu München und als kleiner Betrieb die Laupheimer Werkzeugfabrik. Die solide Finanzierung wichtiger Industriebetriebe, die bis heute in der Spitzenstellung der Industrie unseres Landes nachwirkt, wurde noch abgestützt durch die von ihmbetriebene Gründung einer Württembergischen Notenbank, die das Währungswesen des Landes vereinheitlichte und ordnete.
Steiners hohe Verdienste um Staat und Gemeinwohl wurden zunächst durch die Verleihung des Titels eines Geheimen Kommerzienrats gewürdigt. Im Jahre 1895 erhielt er die sehr seltene Auszeichnung mit dem Ehrenkreuz der Württembergischen Krone, verbunden mit dem persönlichen Adelsprädikat.
Dabei war Kilian von Steiner keineswegs ein dem ökonomischen Egoismus des Laissez-faire verpflichteter Finanzfachmann. Sein Denken und Handeln wurzelte im Humanismus der deutschen Klassik. Ihm, der sich selbst nie in den Vordergrund stellte, war ein selten strenges Pflichtgefühl eigen, das verbunden war mit einem maßvollen Selbstbewusstsein und einem lauteren Gemeinsinn. Sein lebenslanger Freund, der große Nationalökonom Professor Dr. Gustav von Schmoller, sagte über ihn: „Der bloße Gelderwerb, der habsüchtige Egoismus der Geldmacher erschien ihm stets verächtlich. Er fürchtete, dass unsere Zeit an dem Laster der Habsucht der oberen Klassen scheitern könne und vertrat demgegenüber die Auffassung, dass die Leitung der großen Kombination von Geschäften nicht nur die Eigenschaften des geriebenen Geschäftsmannes, sondern mehr noch die des Staatsmannes erfordere, und dass diese Leitung nicht nur auf den Gewinn der Aktionäre, sondern ebenso auf das Gesamtwohl gerichtet sein müsse“.
So sah Kilian von Steiner es geradezu als seine wichtigste Lebensaufgabe und Pflicht an, wirtschaftliche Führungskräfte großer Unternehmen zum Dienst auch an der Gemeinschaft zu erziehen. Er erkannte ferner, dass die neuen Großbetriebe auf Dauer nur mit einem „geistig, technisch, politisch und moralisch sich heben den Arbeiterstand“ gedeihen können. Daher begrüßte er die Gewerkschaften als die Organisation der Arbeiter und setzte sich nachdrücklich für die Förderung der Arbeiterbildung ein. So unterstützte er zum Beispiel auch in seiner Heimatstadt Laupheim die um 1897 neu eingerichtete Frauenarbeitsschule mit dem ansehnlichen Betrag von 500 M (Goldmark) und der Zusage einer weiteren jährlichen Zahlung.
Große Verdienste erwarb sich Kilian von Steiner in seinem letzten Lebensjahrzehnt als Förderer der Literatur. Er war zunächst Finanzberater des bekannten Stuttgarter Verlegers Alfred Kröner und beriet dessen Cotta-Verlags GmbH – den wichtigsten literarischen und wissenschaftlichen Verlag des vorigen Jahrhunderts – später auch bei literarischen und personellen Entscheidungen. Tatkräftig unterstützte er die Gründung des Schwäbischen Schillervereins, der sich die Eröffnung des Museums der Schwäbischen Literatur in Marbach zum Ziele setzte. Als großzügiger Mäzen und stellvertretender Vorsitzender des Vereins spendete er Geld zum Museumsbau und Ankauf wertvoller Manuskripte. Er setzte sich mit Rat und Tat für das Erbe schwäbischer Dichter, aber auch für die zu seiner Zeit lebenden Literaten ein. Die Krönung seines Werkes, die Eröffnung des Museums der Schwäbischen Literatur in Marbach, des heutigen Schillernationalmuseums, konnte Kilian von Steiner nicht mehr erleben, da er wenige Wochen vor der Einweihung verstarb.
In seiner Heimatstadt Laupheim übernahm Kilian von Steiner das väterliche Schloss Großlaupheim, zog im Alter hierher und schuf durch den Zukauf von großen Anbauflächen und den Bau weitläufiger Stallungen und Scheuern ein Mustergut. Das Schlossgut Laupheim, das er mit und für seinen Sohn Wohlgemut (Mut) zu einem landwirtschaftlichen Großbetrieb ausbaute, wirkte mit seiner Käse- und Butterproduktion und seiner Saatzucht weiterhin als Vorbild eines gewinnbringenden, modernen landwirtschaftlichen Betriebs. Zudem legte er – auch mit eigener Hand zugreifend – den Schlosspark an, der auch heute noch eine Sehenswürdigkeit der Stadt Laupheim ist. Er erwies sich bei vielen anderen Gelegenheiten als ein Wohltäter seiner Heimatstadt und insbesondere der armen Mitbürger.
In der Öffentlichkeit, vor allem in der großen Geschäftswelt, war Kilian von Steiner nicht nur wegen seines erfolgreichen Handelns angesehen, sondern mehr noch wegen der sicheren Vorausschau betriebs- und volkswirtschaftlicher Entwicklungen, die seine Erfolge erst möglich machten. Gustav Schmoller hat seinen bescheiden gebliebenen Freund nach dessen Tod am 11. November 1903 schlicht und schön gezeichnet: „Man hat ihn ein Geschäftsgenie genannt; ich möchte sagen, er hatte große, geniale Züge, aber sie waren in erster Linie solche der Willensenergie, der Verstandesschärfe, der Herzensgüte und der Gemütswärme.“
Hans-Georg Edelmann